XXL-Interview
Das nordrhein-westfälische Bönen, ca. 30 km nordöstlich von Dortmund gelegen, ist die Heimat der Chicken Bones. Bereits Anfang der 70er hatten Gitarrist und Sänger Rainer Geuecke, Drummer Wolfgang Barak und Bassist Günter Oertel die Band Mayday gegründet. Der Wehrdienst, den Geuecke antreten musste, setzte der Band ein Ende. Danach war der Weg frei für eine neue Band: die Chicken Bones. In der neuen Besetzung mit Geuecke (Gesang, Gitarre, Hauptsongschreiber), Barak (Drums), Wolfgang Hofmann (Bass) und Hilmar Szameitat (Rhythmusgitarre) nahm die Band nicht nur ihr einziges Album „Hardrock In Concert“ auf, das sie auch selbst als Privatpressung in einer Auflage von 300 LP veröffentlichten, sondern spielte auch diverse Liveshows in der Umgebung. So schafften es die Chicken Bones etwa ins Vorprogramm von Frumpy, Birth Control oder Epitaph. Sogar ein Auftritt in der Dortmunder Westfalenhalle als Vorgruppe von Golden Earring steht auf der Habenseite.
Der Albumtitel führt in zweifacher Hinsicht in die Irre. Erstens ist es kein Livealbum, sondern wurde an nur zwei Tagen, am 22. und 23. Mai 1976, im Blackfield-Studio in Bottrop-Kirchhellen aufgenommen. Zweitens ist es kein reiner Hardrock. Auch wenn seine Grundausrichtung sicherlich an Bands wie Black Sabbath, UFO oder May Blitz ausgerichtet ist, so bietet das Album mit seinen jamartigen Improvisationen, insbesondere in den beiden 10-Minütern „Water“ und „Factory Girl“ auch progressive Elemente. Die Band wagte damals nicht den Sprung ins professionelle Musikerleben, stattdessen blieben die Musiker in ihren bürgerlichen Berufen oder führten ihr Studium weiter. 1981 löste sich die Band auf. Geuecke gründete anschließen die Band Revanche, Hofmann und Szameitat versuchten es mit Vanderstorm.
1989 wurde das Second Battle-Label auf die Band aufmerksam und veröffentliche das Album zunächst erneut auf Vinyl, dann 1993 auch auf CD. Das Besondere an der CD-Edition ist, dass sie neben den sechs Tracks des Originalalbums noch einen Rehearsal-Song sowie fünf Stücke von Geueckes Band Revanche enthält. 2016 legte dann das Longhair-Label sowohl die LP als auch die CD neu auf. Dass sich die Qualität des Albums mittlerweile herumgesprochen hatte, zeigt auch die Tatsache, dass sich das Originalalbum von 1976 zu einem gesuchten Sammlerstück gemausert hat. Wie Szameitat auch im Interview bestätigt.
eclipsed: Eure LP ist eine gesuchte Rarität.
Hilmar Szameitat: Komisch, ich dachte vor ein paar Tagen daran, meine nie abgespielte Chicken Bones-LP zu verkaufen und dann kommt plötzlich dieses Interview. Ist schon merkwürdig, wie einen die Vergangenheit immer mal wieder einholt. Für die LP wurden schon 1400 Euro geboten, aber ich habe sie noch nicht verkauft.
eclipsed: Wieso hast du die LP nie abgespielt?
Szameitat: Man hört seine eigenen Sachen doch fast nie an.
eclipsed: Wie ist die Band damals zustande gekommen? Wie bist du dazu gestoßen?
Szameitat: Rainer Geuecke hatte seine Bundeswehrzeit hinter sich. Seine Band Mayday war Geschichte. Ich hatte sie mal in unserem Jugendheim gesehen und fühlte mich von diesen Leuten und der lauten harten Musik angezogen. Ich lernte Rainer im Freibad kennen und erzählte, dass ich auch Gitarre spiele. Wir fuhren dann zu mir und ich spielte ihm was vor. Er stellte mich daraufhin dem Drummer Wolfgang Barak vor und die beiden planten dann mit mir eine neue Band. Ich kannte Wolfgang Hofmann von meiner Arbeit und fragte, ob er in der zukünftigen Band Bass spielen wollte. So kamen wir zusammen.
eclipsed: Hattet ihr damals Vorbilder? Wenn ja, welche?
Szameitat: Ich spreche jetzt nur für mich. Meine Bands waren Ten Years After, Deep Purple, Jethro Tull, Pink Floyd, Supertramp, Rolling Stones, Santana usw. Ich denke, unsere Musik war stark von Rory Gallagher beeinflusst. Da stand Rainer besonders drauf.
eclipsed: Erinnerst Du Dich an ein paar besondere Konzerte?
Szameitat: Wir spielten in unserem Heimatort Bönen in einem alten Saal für ca. 200 Personen. Es war voll und die Leute rasteten bei unserer Musik ziemlich aus und zerlegten die Stühle. Daraufhin bekamen wir für diese Location Saalverbot.
eclipsed: Und noch etwas aus dem Nähkästchen?
Szameitat: Ich erinnere mich an ein Konzert in Schwerte in einer kleinen Kneipe. Es war tierisch laut. Hinterher wollte der Wirt die Gage nicht bezahlen und machte Theater. Ich bin dann aus der Kneipe raus, zu einer Telefonzelle und habe die Polizei gerufen. Sie haben uns gerettet und meinten, wir hätten uns den schlimmsten Ort zum Spielen ausgesucht. Das werde ich nie vergessen.
eclipsed: Wie seid ihr auf den Titel „Hardrock In Concert“ des Albums gekommen? Es war ja schließlich kein Konzert ...
Szameitat: Das weiß ich tatsächlich nicht mehr.
eclipsed: Wie ist eure Musik entstanden? Kam Rainer Geuecke mit den fertigen Ideen? Wie weit habt ihr dann noch zusammen rumgefeilt und geändert?
Szameitat: Das kam tatsächlich hauptsächlich von Rainer. Ich hatte später mal ein Stück beigesteuert, da war die Platte aber schon raus. Es waren auch keine weiteren Platten geplant, weil Wolfgang Barak sich kurz nach der Veröffentlichung wegen persönlicher Probleme abgesetzt hat. Die Initiative für eine eigene Platte ging auch hauptsächlich auf ihn zurück.
eclipsed: Gibt es einen Song, auf den Du besonders stolz bist?
Szameitat: Unsere Stücke wurden mit der Zeit ausgefeilter. Mit meiner Nachfolgeband Vanderstorm schrieb ich dann mit Wolfgang Hofmann an eigenen Stücken, und da war ich dann schon etwas stolz.
eclipsed: Euer Album ist eine Privatpressung. Wie habt ihr das organisiert?
Szameitat: Wir gingen zu viert zur Sparkasse, haben denen erzählt, wir wollen eine Platte aufnehmen und brauchen dafür 6000 DM. Die haben wir auch bekommen und so konnte es losgehen. Mit den Einnahmen aus den Konzerten und den Plattenverkäufen hatten wir den Betrag ziemlich schnell vorzeitig zurückgezahlt.
eclipsed: Habt ihr euch um ein Label bemüht?
Szameitat: Wir hätten in Münster bei Sun Records unterschreiben können. Sie wollten eine Single mit uns veröffentlichen. Als wir vor Ort mit den Leuten sprachen, kam raus, dass die Single durch Profimusiker eingespielt werden sollte. Es würde bei uns zu lange dauern. Außerdem machte man uns klar, dass sie uns jederzeit zu jedem Termin irgendwo spielen lassen könnten. Ich habe dann dankend verzichtet und so wurde daraus nichts. Rainer hat mir übrigens vor einigen Jahren mal gesagt, dass er mir dafür noch heute danken würde. Er war damals wild endschlossen, es als Profimusiker zu versuchen.
eclipsed: Wie liefen die Aufnahmen zu dem Album? Erinnerst du dich noch ans Studio?
Szameitat: Das ging ja sehr schnell, nur zwei Tage. Wir hatten die paar Stücke monatelang im Proberaum geübt, und so hatten wir sie an einem Tag eingespielt. Am zweiten Tag gab es noch Kleinigkeiten aufzunehmen. Dann abmischen. Ich bin übrigens mit der Mischung und dem Sound überhaupt nicht zufrieden, aber wir waren ja unerfahren. Bei den Livekonzerten war unser Sound wesentlich rauer. Ich hatte außerdem die Tannoy-Studiomonitore aus dem Studio gekauft. Sie bekamen was Neueres.
eclipsed: Wieso war nach einem Album Schluss?
Szameitat: Wolfgang Barak ging nach Israel. Mit den neuen Leuten ging es nach fünf Jahren wegen persönlichen und musikalischen Problemen auseinander.
eclipsed: Wie hast du damals die so genannte Krautrock-Szene wahrgenommen?
Szameitat: Ich glaube, Chicken Bones hat sich nicht als Krautrock-Band verstanden. Wir waren mal 1981 Vorgruppe von Birth Control mit meiner Nachfolgeband Vanderstorm in Unna in der Eissporthalle. Wir waren deutlich krautrockiger mit deutschen Texten als Chicken Bones. Zu dieser Zeit ging es ja auch mit deutschen Texten los.
eclipsed: Als was siehst du eure Musik: Krautrock? Progrock? Hardrock?
Szameitat: Also Chicken Bones haben wir als Hardrock verstanden.
eclipsed: Was hast du danach musikalisch gemacht?
Szameitat: Ich habe tatsächlich bis zur Coronazeit immer in Bands gespielt. Letzten Winter habe ich mit Steffi Kramer ein paar Songs im Homestudio aufgenommen.
eclipsed: Hast du noch Kontakt zu den anderen Musikern?
Szameitat: Seit Corona nicht mehr.
eclipsed: Mit welchen Gefühlen denkst du heute an die Zeit damals und eure Musik zurück?
Szameitat: Alles hat seine Zeit. Ich bin jetzt froh, nicht mehr auf irgendeiner Bühne stehen zu müssen, weil ich dachte, es geht nicht ohne. Ich fahre gerne Motorrad, oder mit dem Wohnmobil durch die Gegend. Die Gitarre ist dann immer dabei und wenn ich abends vor dem Wohnmobil spiele, sitzen dann schnell Leute da, die das toll finden.
10. April 2021